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Datzean, GOOgle

Geſchichte

der

Deutſchen Literatur in der Schweiz.

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Jatob Baechtold.

Geſchichte

der

Deutſchen Literatur in der Schweiz.

Don

Jatob Baechtold.

475 Srauenfeld. Derlag von I. Aauber.

Kier bechenno ih mih, hier bin ih heime, hinnan bin ih purtig, hier fol ih Reftaton. Nothers Boethius, vom Croft der Philofophie, Buch 4, Kap. 3.

I. Aubers Buhdrucerei in Srauenfeld.

Vorwort.

„In der Schweiz liegen noch Schäge von Poefie und Sage geborgen, mehr ala in andern deutfchen Landftrichen, obſchon feiner ohne Ausbeute läßt”, jchrieb Jakob Grimm 1857 an den Heraus: geber der „Alpenfagen“. Das vorliegende Buch ift in gewiſſem Sinn eine Ausführung diefes Satzes. Man ſchneide irgend einen gleich großen, ober beffer, gleich Heinen Teil aus der deutſchen Länderfarte heraus und jehe zu, ob er fi) dem Umfange jeiner Literatur nad) mit der deutfhen Schweiz mefjen könne. Daß eine folhe Sonder- darftellung bei aller eigentümlichen Entwidelung im großen und ganzen do den Gang der allgemeinen deutſchen Literaturgeichichte einichlägt, follte überall erfichtlich fein. Wenigftens war es mein hauptfäclichites Beftreben, diefen Zufammenhang mit dem Ganzen feftzuhalten. Mein Wunſch geht dahin, daß, was Fr. Th. Viſcher in feiner Beurteilung von Mörikofers Buch über die jhweizerifche Literatur des achtzehnten Jahrhunderts ſagte, in reiherem Maße an dem meinen fich erfülle: „Indem man diefen verfammelten, gedrängten Geifterzug, dieſe blanken geiftigen Schweizerregimenter, geführt von einem Schweizer, an fi) vorüberziehen fieht, jo erkennt man im ganzen Umfang zum erftenmal, was dieje Kräfte geleiftet haben für die Schweiz und fir Deutſchland.“ (Altes und Neues. N. F. 1889, Seite 47.)

Dabei war mir Uhlands Handhabung der befchreibenden Literaturgeſchichte vorbildlih. Gegen manden Abſchnitt, z. B. den über die Notkerſchen Schriften, fann man mit Recht den Vorwurf erheben, daß er in Bezug auf Inhaltsangaben zu meit gegangen

vI Vorwort.

fei. Aber das Drama des ſechszehnten Jahrhunderts würde ich auch jeßt, da ich mandes anders anfehe als vor fünf Jahren, troß ber fait unförmlich breiten Darftellung nicht viel anders be handeln. Ich bin nun dod froh, daß irgendwo eine zuverläffige Beichreibung diejer feltenen Büchlein gegeben ift, die ih in aller Herren Ländern aufgetrieben und durchgeleien habe, was ſobald nicht wieder von einem zweiten gejchehen dürfte. Denn wie man an einem hellen Sommerabend von den Höhen unſerer Berge feit das ganze Vaterländchen überblicken kann, fo ift es aud dem Ein— zelnen, wenn er einige Mühe und Geduld fi nicht verdrießen läßt, möglich, jede befondere Erſcheinung unferer einheimiſchen Literatur zu betrachten. Daß id; mandes Stüd alten Hausrates aus der Vergeffenheit Herausholte, beweist ſchon der Umfang, den das Bud angenommen hat. Ebenſo bin ich mir mohl bewußt, daß der Ab— ſchnitt über Bodmer den Charakter einer vollftändigen Monographie trägt, für die mich niemand zu tadeln braudt.

Ih wollte ferner ein lesbares, manchmal jogar ein kurz: weiliges Buch ſchreiben. Die Anmerkungen, die faft durchgängig wiſſenſchaftlichen Zweden dienen, bilden einen Speicher, in welchem ein nicht unanfehnliches Material angehäuft ift. Vieles an und für ſich Kleinfügige mußte Sache breiter Unterfuhung werden. Diefe Spuren durfte ih in den Anmerkungen nicht vermifchen.

Mancher Leſer wird unzufrieden jein, daß das Bud mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ſelbſt zu Ende geht, daß es nicht noch die großen Schweizerdichter der neuen Zeit, nad) denen heute aller Augen gerichtet find, behandelt. Der vorliegende Band ift gerade die genug geworden. Man wird mir wohl glauben, daß ih nad der nicht unbejhwerlihen Wanderung durch die Nieder: ungen des Flachlandes unfrer Literatur gerne den freien, jonnigeren Höhen, auf denen ein Gottfried Keller u. a. wohnen, entgegen- ftrebe. Dazu bedarf's jedoch erft mander Vorarbeiten. Jedenfalls behalte ich einen zweiten, kleineren Band feft im Auge.

Vorwort. vo

Dankbar habe ich ſchließlich der vielfachen Unterftügung zu gedenken, die mir dur Fachgenoſſen, Freunde, in- und ausländifche Bibliothefen und Archive zu teil geworden ift. Niemandem aber bin ich zu größerem Danke verpflichtet, als dem trefflihen Vor— ftande unferer Züriher Stadtbibliothek, one deren Schätze ih das Bud nit Hätte fhreiben können. Für das forgfältige Regifter danke ich einer lieben Schülerin, Fräulein Hedwig Wafer.

Und nun lege ich diefen erften Verſuch einer zufammenfaffenden Darftellung der vaterländifhen Literaturgeihichte in die Hände meiner engeren Landsleute, dann aber auch in diejenigen der Fach- genofjen. Ob id den oft fo ſchwer zu vereinigenden Anſprüchen beider Zeile genüge, will ich „beicheidenft dem ungewiſſen Stern jebes erften Verſuches anheim ftellen.”

Zürich, am Tage des Sechſeläutens 1892. Dr. Zakob Bacdtold,

o. Profeſſor der deutſchen Literaturgeſchichte an der Univerſität.

Datzean, GOOgle

1. Einleitung.

Dieſes Buch will die Schidfale der deutſchen Literatur in der Schweiz von der alten Zeit bis zum Anfang des neunzehnten Jahr— hunderts erzählen. Eine ſolche Geſchichte wird feftzuftellen haben, was das Heine Land von der Mutternation empfangen und was es der— jelben gegeben Hat. Die ſchweizeriſchen Erzeugniffe deutjcher Literatur wolfen im Zufammenhange unter ſich, ſowie in ihrer Verknüpfung mit dem Gang der allgemeinen Geſchichte deutſchen Geifteslebens betrachtet werden.

Im die verjhiedenften Entwidelungsphafen der deutjchen Literatur hat die heutige deutſche Schweiz felbfttätig, befebend, wohl auch be— ftimmend eingegriffen und, wenn innerhalb des bezeichneten Zeitraums nicht Werke erften Ranges und muftergiltiger Vollendung, doch ſolche von bedeutfamer Urfprünglichfeit und nachhaltiger Wirkung hervor- gebracht. Wenn die deutjche Titeraturgefchichte ihren Anfängen nad) geht, hat fie vor allem im helvetifchen Landen einzufehren und weilt vom zehnten und elften Jahrhundert an im Fortjchreiten mit befonderm Nahdrud auf unferm Reformations- und achtzehnten Iahrhundert.

An das Kloſter Sankt Gallen Heften ſich die älteften Denkmäler deutſcher Meberjegungstätigfeit; dasjelbe ftellt eine geraume Zeit für fi allein den Gang der deutfchen Literatur dar; hier rauscht zum erften male der lebendige Quell germanifcher Heldenfage voller; hier bat die Förderung der Mutterfprache in der ſpätalthochdeutſchen Epoche die umfangreichften Profawerfe hervorgerufen. Seit uralter Zeit weht der Geift der Dichtung durch unſere Täler, er weht in wunderſamen Sagen, Ehronifen, im Liede. In oftichweizerifchen Gauen wird im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert die mittelhochdeutſche Lyrik in Lieberbüchern feftgehalten und Land auf und ab miſchen unfere Minnefinger ihre Stimmen zum eintönigen Chore ein. Die Iehrhafte Dichtung des folgenden Zeitraums findet in der Schweiz berufene Ber- treter. Hieher leiten die erften Spuren des deutſchen Dramas, weldes

1

dann fpäter in der Reformation als Gegenftand allgemeinfter Bürgerluft jo üppig ins Kraut wächst. Ruhmvolle Kriegstaten erweden das Hiftorifche Volkslied. Nach langer Dede wird zuerjt vom Fuß der Alpen her die gedankenſchwere pathetiſche Dichteripradde vernommen, in der nachmals cin Klopftod, ein Schiffer zur deutichen Nation redeten, und hier erhebt fi beim Beginn der neuen Zeit der Widerfprud) gegen das Altgewordene, der Ruf nad) Urſprünglichkeit. Hieher endlich haben fie ihre Schritte gelenkt, alle die deutfchen Meifter, voran Klopſtock, Wie- and, Gocthe, zwar vielfach abgeftoßen von der Enge, der Kleinlichkeit unjerer Zuftände, aber „friiche Nahrung, neues Blut“ in vollen Zügen einatmend. Und verflärend ruht der Genius Schilfere auf unferer Heimat, über unferer Freiheit.

Politifh hat fid) die Schweiz feit Tahrhunderten vom großen rReichskörper abgelöst; ſprachlich und Fiterarifch dagegen ift fie in ihrem deutſchen Zeile eine alte gute Provinz Deutjchlands geblieben. Von einer Nationalliteratur der Schweiz wurde zwar auch ſchon geiprochen. Indes tönt das Wort patriotijcher als wahr. Aeußerfich befehen, d. h. wenn man den Begriff der Nationalität bloß als Einheit der Ab- ſtammung, Sprade und Sitte zu recht beftehen ließe, wären wir Schweizer eben trog des weitfäliichen Friedens feine einheitliche Nation, fondern Bruchſtücke dreier ftaatlich verbundener Nationalitäten. Yon alters her teilen fich drei verjchiedene Völter in die heimifchen Wohnfige. Unfere politifchen Grenzen find feine Scheidelinien für Spradie und Volkstum. Die nördliche Ebene der Schweiz hängt mit Deutjchland, das weſtliche Iuragebiet mit Frankreich, die füdlichen Täler mit Italien zufammen, und fo gehörte noch vor ſechshundert Jahren der Norden unſeres Landes zum deutjchen Reich, der Welten zu Burgund, der Süden zu Italien. Was ung aber zur Nation erhebt, ift das Be— wußtfein der Zufammengehörigfeit, der freiwilligen Vereinigung zum Wohle aller, der gemeinjamen Geſchichte, der gemeinjamen Liebe zum freien Vaterlande. So gefaßt, enthält der Begriff der Nationalität über die zufällige Stammesverwandtidhaft hinaus die Staatsidee in der reinften und ſittlichſten Form. Anders geftaltet ſich die Sache auf dem Gebiete der Literatur. Wie hier jedes der drei ſchweizeriſchen Sprachgebiete fulturgefhichtlid vom Mutterlande abhängig ift, fo ſtellt auch die deutjch-jchtweizerifche Literatur Lediglich einen Teil der deutichen Nationalfiteratur in ihrer oft mehr, oft weniger eigenartig ſchwei⸗ zeriihen Ausprägung dar. Aber unfer Anteil ift ein weſentlicher.

Das moderne ſchweizeriſche Nationalbewußtjein, weldes während des Mittelalters gar nicht vorhanden war, fucht heute jeinen Schwer- punkt vorwiegend in der gejchichtlicdh gegebenen politiichen Gemeinschaft;

Einleitung " 3

die Kulturftrömungen des Landes drängen naturgemäß aus einander, fie führen die drei Völferbeftandteile immer wieder an die drei Mutter- quellen zurüd, und fo holt ſich auch der Deutſchſchweizer die Schäte feiner Bildung nad) wie vor aus den tiefen Schachten des deutjchen Geiftes. Wir wurzeln mit all unjerm Dafein feft in deutſcher Art und wollen, unjerer Eigentümlichkeit unbejchadet, deffen immer mehr eingedenk fein.

Einen nationalen Charakter kann demnach unjere Fiteratur im allgemeinen nicht tragen. Dagegen weist eine Reihe von fiterarifchen Erzeugniffen eine beſtimmte ſchweizeriſche Eigenart auf: man denfe an, unjere alten hiftorifchen Volkslieder, unfere Chroniken, an einen Zeil der Dichtung des achtzehnten und bejonder® des neunzehnten Zahr- hunderte. Scharf ausgeprägte Ericheinungen wie Haller, Gotthelf, Keller konnten gewiß nur aus umferen ſchweizeriſchen Verhäftniffen hervorgehen.

Die Ungunft der Verhäftniffe hat es nicht geftattet, daß während der ruhmvollen Freiheitöfriege der alten Eidgenoffen die ſchöpferiſche Tätigfeit des Geiftes zu entiprechend hoher Entfaltung gelangte. Daran trug unjere alte Zerfplitterung, die Enge der Zuftände, die ein- feitige Pflege des politiſchen Lebens, dic Verwilderung der Volkskraft Schuld. Die Trennung vom Reiche geſchah zunächſt zu Ungunften unfrer Literatur, deren Lebensnerv jenjeits des Nheines liegt, und hat nur allmählich auf die freie Entfaltung der volkstümlichen und literar- iſchen Originalität wohltätiger eingewirkt, das nationale Element aber gelegentlich auf die Bahn anderer, z. B. franzöfiiher Intereſſen, ab- gelenkt. Eine Summe Geiftes gieng der deutſchen Literatur auch hier durch die Herrichaft des Franzöfiihen, wie vormals des Lateinischen, verloren. Lange ftand jeit jeiner politiſchen Löſung das freie ſchwei⸗ zeriſche Gemeinweſen dem geiftigen Verkehr mit Deutichland ferne, jo ferne, daß zur Zeit der neuhochdeutſchen Sprachbildung, als Luther feinen Pfad feindfelig von demjenigen unferes Zwingli fchied, wir jogar Gefahr Tiefen, eine befondere Schriftiprache zu bekommen. Der Wider- ſpruch gegen die Sprache der Reformation al& der Trägerin der neuen Ideen war begreiffich bei den Statholifen noch ftärfer. Damals war es unfer Glück, daß das Hindrängen nad) einer förmlichen ſeparatiſtiſchen Gemeinfprache des Schweizerdeutichen zu Schriftzweden an dem äußer: ften Borpoften der neuhochdeutſchen Sprache Luthers, an Bajel, dent Sige einer alten deutſchen Univerjität, feheiterte, wo ſchon um die Mitte des fechszehnten Jahrhunderts der Sieg der Lutherbibel ent: fchieden war, oder daß anderswo eingewanderte Deutſche, wie Johannes Stumpf, unjere Schriftſprache und Piteratur vor dem Schidjale der

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niederländifchen retten halfen. Immerhin ſah ſich noch zu Ende des fiebenzehnten Jahrhunderts der Berner Rat zu einer Weifung an die Geiftlichkeit veranlaßt, fie möge fich des „ungewöhnlichen neuen Deutſch“ enthalten, da es die Verftändigen nur ärgere und das gemeine Volt im Chriftentum nicht unterweife. Schlagend ift weiter eine Tatfache, welche für das fiebenzehnte Jahrhundert geltend gemacht wurde. Warum verfiegte damals in der Schweiz, die doc; von dem unfeligen dreißig⸗ jährigen Kriege verſchont blieb, die literariſche Produktion fo gänzlich? Doch wohl hauptfählic deswegen, weil durd die Vernichtung des geiftigen Lebens in Süd- und Mitteldeutichland auch die Anregung von dort her ein gründliches Ende nahm, abgejehen davon, daß durch, den Frieden die endgiltige Köfung der Schweiz vom Reiche fich vollzog. Erft Haller und Bodmer ftelften die Beziehungen mit dem deutichen Geiftesfeben wieder her, fo eng, daß unſer achtzchntes Jahrhundert ein getreues Abbild der allgemeinen deutſchen Literaturgeſchichte im Heinen bietet. Und feither treibt jede vernehmliche Titerarifche Bewegung des Meutterlandes ihre Wellenfchläge auch zu uns herüber und wirft Hier in enger gezogenen reifen deutlich nach. Was jeit der klaſſiſchen Literatur- epoche Deutſchlands Klopſtock, Schiller und die Schwaben voran, Goethe, Jean Paul, für die Dialektdichtung Hebel, die Romantik u. |. f. auf uns überftrömte, was vollends bie großen ſchweizeriſchen Dichter der Gegenwart, die aller Augen auf fich lenken, an deutſchen Einflüffen in fi aufgenommen, dies zu betrachten, geht zum Teil bereits über das Ziel unferer Aufgabe hinaus. Nochmals: wenn wir auch politiſch jelbftändig geworden find und die Segnungen unferer Freiheit zu preifen nicht müde werden, ber Herrichaft des deutjchen Geiftes waren wir uns ftets bewußt, die deutſche Wiſſenſchaft ift die unferige, Schiller und Goethe bleiben die unferigen. Den feiteften Stügpunft unferer Kultur werden wir alfezeit in der geiftigen Gemeinjchaft mit den Stammes- genoffen fuchen.

Daß die republikaniſche Staatsform beftimmend auf den Gang unferer Piteratur eingewirft habe, kann für die frühere Zeit wenigſtens nur in geringem Maße eingeräumt werden. Und aud dann nur indirekt, wo nicht geradezu negativ. Wohl aber war es von jeher die Beſtimmung der Schweiz, auf das Mutterland, wenn diefem die geiftigen Kräfte zu ermatten drohten, befebend und ftärfend zurüd- zuwirken. Mehr als einmal hat diejes dem friſchen Anhaud des Alpenlandes verfpürt. Wie viel Anregung ift von unferm hiſtoriſchen Volkslied, dem alten Drama, von der neuern Kumfttheorie, von unfern Geſchichtſchreibern, Voltsihriftitellern, Idyllendichtern hinaus gegangen! Und nod) eine Miffion Hatte die Schweiz gegenüber dem Stammreiche,

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diejenige einer natürlichen Bermittlerin franzöfiiher und fpäter engliſcher Einflüffe. Dies im einzelnen nachzuweifen, gehört mit zu den Abfichten der folgenden Blätter.

Im derb Gefunden, die Schweizer find „mehr grob, dann bögtiftig“, behauptet ſchon Stumpf im naturwüchſig Nealiftiichen, im pfaftiih Sinnlihen, im nüchtern Verftändigen und charakteriſtiſch Urfprünglichen, in der Luft am kernhaft Tüchtigen, am Konkreten und Bejondern lag von jeher und beruht heute in erhöhterem Grade die Hauptfraft unferer Fiteratur. All das jpiegelt fih ſchon im Dialekte des Schweizers, an dem er fo zähe feftgehalten, ab. Daneben ift namentlich das fittliche Pathos, das tendenzids Moraliſche, das gewürzt Lehrhafte, das Konfervative und deſſen Auswuchs, das Spießbürger- liche, fein Element. Es ift fein Zufall, daß ein Boner, cin Manuel, ein Haller, ein Gotthelf alle für Recht, Ehre, Sitte und Zucht erglüht find und die Unnatur und Entartung in allen ihren Aeußerungen geißeln. Die moraliſchen Wochenſchriften des achtzehnten Jahrhunderte haben zuerft auf dem Kontinent in der Schweiz gewuchert.

Allein gerade diefer Hang zur Tendenz, der ftets darauf bedacht ift, auf die weiteften Streije, die mittleren und unteren Volkoſchichten einzubringen, mußte unferer Literatur ftellenweife den Anftrich des Plebejiſchen, des Demagogifchen verleihen. Die wahre Schönheit, die bloß um ihrer felbft willen wirft, findet fich erft bei unfern neueften Dichtern. Für die ältere Zeit ift der einheimiſche Deinnefang die einzig tendenzlofe Epoche.

Nicht minder entwidelt ift das religiöfe Moment. Abgefehen davon, daß unjere ältefte Literatur ein Kfofterproduft ift, begegnen wir bier zu Lande geiftlihen Minnefingern; die Hervorbringungen des Reformationgzeitafters ftehen völlig im Dienfte der Firchlichen Lehre; Halter, Lavater u. a. find ausgeſprochen religiöfe Naturen; das „ver lorene Paradies“ und der „Meſſias“ waren nicht zufällig Bodmers Liebfingsdichtungen.

Die unverwüſtlich friſche Volkskraft des Schweizers drängt zum Volkstümlichen, hängt am Markigen, liebt das Gemütvolfe, adjtet auf das Biedere; dicht dabei aber fo oft ein gänzlicher Mangel beweglicher Bhantafie, deutfcher Idealität und namentlich reiner Form. Zwar haben unfere Theoretifer des vorigen Jahrhunderts der Phantafie zum erften mal wieder das Wort geredet, aber wie nüchtern und hausbaden, wie ſchwerfällig und unbeholfen äußert ſich ihre und ihrer Anhänger poetiſche Selbftproduftion, die jegliche Weihe echter Kunftform fo oft verſchmäht und meift nicht kennt!

Dazu kommt ein Zweites. Dem Schweizer, der in der Mundart

feiner Heimat aufwächst, fällt es ſchwer, fid das Schriftdeutſche in all feiner Durchbildung und Feinheit anzueignen. So geläufig uns der Mund geht, wenn wir unjer geliebtes Schweizerdeutich reden: mit dem reinen fchriftdeutfchen Ausdruck haben wir alle zu ringen. Das fühlte ein Haller, als er das offene Bekenntnis ablegte: „ih bin ein Schweizer, die deutſche Sprache ift mir fremd“, das mußten fid die Züricher des vorigen Jahrhunderts von ihren Gegnern in Leipzig täglich jagen laſſen. Wohl Liegt auf der andern Seite hier ein Vorzug, den freilich nur der bedeutende Schriftfteller ſich zu feinem Vorteil zu nuge machen kann. Aus der plaftiichen Fülle, der Kraft, der Anmut unferer Idiome ift jo mandjes Wort, jo manche Wendung zu ſchöpfen, die auch dem ftanımverwandten Nachbar, jo oft er ihnen am rechten Orte begegnet, al8 wahre Bereicherung feiner Sprache vorfommt, ihn erquidt, wie den Städter, der aufs Yand geht, der frifche Geruch der Erde labt, oder um mit dem alten Bodmer zu reden was es ſonſt für ein „Landgeficht oder Feldihall“ fein mag.

Die einheimifche Yiteratur hat in ihren Dichtern vorwiegend Epiker hervorgebracht; dies ift harafteriftiiches Merkmal vom zehnten bis neunzehnten Jahrhundert; neben jenen Lyriker; aber noch einen Dramatifer, etwa den ältern Niklaus Manuel ausgenommen, von ent fprechender Bedeutung. Nicht weniger bezeichnend für umfere Poeten ift der Umftand, daß fie aus ihrer Kunft niemals einen Beruf machten, diefelbe nur als ein Mufenopfer ihrer freien Stunden betrachteten. Förmliches Literatentum iſt alferneueften Urfprungs. Wiewohl der Sinn für landſchaftliche Schönheit nicht im Hochland aufgegangen ift, liebt der Schweizerdichter feit Haller das Maleriſche. Viele unter ihnen, vorwiegend Züricher, waren zugleich Maler von Beruf. Im ganzen ift die Profa reicher vertreten als die Boefie. Seit der Kirchen—⸗ trennung find die reformierten Yandesteile frudjtbarer an Yiteratur- werfen, als die katholiſchen. Die Verteilung derjelben auf die einzelnen Kantone ift eine ungleiche. Manche gehen völlig leer aus, daneben bilden ſich natürliche Centren der Fiteratur, vor allem in den Städten Züri, Bern, Bafel. Im ältefter Zeit ift das Kloſter Sankt Gallen der alfeinige Sig des Schriftweiens; im fpätern Mittelalter grünt im alten Thurgau ein Gärtlein des Sängertums; Bern vermittelt natur gemäß den Verkehr zwiſchen deutſcher und welicher Zunge jeit den Tagen des Minnefinger® Rudolf von Fenis, der die provenzalifhe Troubadourlyrik in deutjches Gewand Heidete, bis auf die Roman- überjeger Thüring von Ningoltingen und Wilhelm Ziely, und weiter hinauf bis zum reife der Yulie Bondeli, der Freundin Rouffeaus und Wielands; in der Reformation tritt Zürich bedeutſam hervor,

neben ihm Bern und Bafel; Yuzern pflegt das geiftliche Drama, das geſchichtliche Volkslied; im achtzehnten Jahrhundert wird Zürich fogar fiterarifche Großftadt, Metropole der deutjchen Kritit, und gibt eine Weile den Ton an.

Eine Geſchichte der deutſchen Literatur in der Schweiz kann das, was in den Niederungen liegt, nicht bloß eines eiligen Blickes wür— digen und nur das Große, das Bedeutſame herausheben. Dazu find wir weder reich noch groß genug. Für eine ruhig ftetige Entwidelung war zudem der frühere Gang unferer Landesgeſchichte zu ſchickſalsſchwer.

„Und dieſes Schidjals nennen wir

Mit Fug uns felbft die Schmiebe;

Wir feilen ſechs Jahrhundert ſchon

Am felben alten Liede,

Bald ſacht und leis, bald laut und raub, Wie es der Zeiten Lauf;

Und mehr als einmal ſprüht' es heiß Von Feil' und Hammer auf.”

Im den Stürmen der Völkerwanderung find die Bezeichnungen für die zahlreihen Meinen Germanenftänme, von welchen aus den erften zwei Jahrhunderten unjerer Zeitre_hnung Kunde vorhanden ift, untergegangen und an ihre Stelle treten die Namen einiger weniger größerer Völferverbindungen. Während die Oftgermanen (Goten= völfer, Standinavier), trogdem fie in ihrer Mehrzahl die urjprünglichen Sige und damit auch die nationale Kraft des Heidentums frühzeitig preis gaben, ihre alten Völfernamen beibehielten, haben die Wejt- germanen, deren Wanderungen weniger den Charakter eines cigent- lichen Auszuges als den einer fortfchreitenden Kolonifation tragen und bei denen die alte Religion fo zähe mit der heimatlichen Erde verwachſen war, die ehemaligen Völfernamen abgelegt und ſich zu dem großen, dauernden Stammesverbindungen der Sachſen, Thüringer, Franken, Baiern und Alemannen zujammengetan.

Die deutſchredenden Schweizer find im großen Ganzen alemanniſcher Abftammung. Die Alemannen find wahrjheinfic die Nachkommen der von der Spree oder Lauſitz her eingewanderten germanijchen Sem-

- nonen, des bedeutendften der ſuebiſchen Stämme. Im legten Viertel des zweiten Jahrhunderts n. Chr. erſchienen fie in den Maingegenden und mögen hier von ihren Nachbarn, den Hermunduren, Chatten und

8 Einleitung

Burgundern, den neuen Namen Alemannen, Aamannen fie jelbft hießen ſich nie fo, fondern ſchlechtweg Schwaben erhalten haben. Derfelbe bezeichnet entweder die ſtaatliche Allgemeinſchaft, d. h. jämtliche Zugehörige zum alten Semnonenvolfe, oder, mit alah, d. i. Tempel, Heiligtum, in Verbindung gebracht, würde er: Leute des Götterhains bedeuten. Diejer aber war das alte ſemnoniſche Nationalheiligtum des Gottes Tin, Zio, deflen Name in dem alemanniſchen „Ziſtig“, ahd. Zimwestag, noch nachklingt. So würde die Bezeichnung Alahmannen eine vollfommene Analogie zu einer andern überlieferten Benennung der alten Semnonen als Ziuwari, Verchrer des Zio, bilden. Von nachrückenden Germanenvölfern vorwärts gedrängt, überflutete der frie- geriſche Stamm, der Schreden der römifchen Grenze, vom Main aus das Neckarland, das Gebiet der Donauquellen, das Elſaß, bald erobernd, bald Folonifierend, nahm im erften oder zweiten Jahrzehnt des fünften Sahrhunderts von dem den Römern unterworfenen nordöjtlichen Hel- vetien Befig und war nun bi an die Alpen, weſtlich bis zum Wasgen- wald angeficdelt.

In der Schweiz erhielten die Alemannen nad) wenigen Jahr- zehnten Nachbarn in den ftammverwandten Burgundern, welden Aetius, nachdem er zulegt in der großen Schlacht von 437 ihr lied» berühmtes Neid im Wormsgau mit Hilfe der hunniſchen Söldnerheere vernichtet hatte, Wohnfige in der Sabaudia, d. i. in Savoyen und zu beiden Seiten des Jura bis zum Neuenburger See anwies, damit fie die Eingänge nad) Italien und Gallien vor den Alemannen beihügten. Die gebrodjenen, weniger friegeriichen germanifchen Burgunder teilten fich, im Gegenfag zu ihren öftlichen Stammesgenofien, den Alemannen, mit der romanifierten (urjprünglich keltiſchen) Bevöllerung nad) einem eigentümlichen Syſtem friedlich in den neuen Befig und nahmen bald auch die Sprache und den Glauben derjelben an. Zur Germanifierung des Landes waren die Burgunder zur Zeit ihrer Niederlaffung zu wenig zahlreich und zu ohmmächtig, auch zu weich, immerhin kräftig genug, den entneroten römischen Einwohnern einen neuen Aufſchwung mitzuteilen und den Aufbau des burgundifch-romanifchen Königreiches zu fördern. Sie beugten ſich vor der Ueberlegenheit der römischen Kultur und waren im jechsten Sahrhumdert bereits völlig romanifiert. All mählich erweiterten ſich die burgundifchen Grenzen namentlich) gegen Nordoften, jo daß früher alemannifche Jura-Gebiete an der mittlern Aare der burgumdiichen Königsherrſchaft untertan wurden und die Weftgrenze des Reiches zu Anfang des jechsten Jahrhunderts etwa von Pruntrut durch den Jura in öftliher Richtung Windiſch, der bur- gundifch gewordenen Stadt, zulief und von da aufwärts der Neuß

Einfeitung 9

=

und Emme entlang gieng gegen die obere Rhone hin. Bafel war eine alemannifche, Solothurn eine burgundiſche Stadt.

So war die füdiweftliche Schweiz den Burgundern zugefallen, die nordöftfiche den Alemannen; der Süden (Teffin) blieb bis ins fünf- zehnte Jahrhundert bei Italien, der Südoſten rätiſch.

Eine Einigung der feindlich gefchiedenen Alemannen und Bur— gunder brachte die Frankenherrſchaft. 496 befiegte der Salierkönig Ehlodwig die Alemannen am Oberrhein; Theodorich, der Djtgote, gewährte flüchtigen Scharen des geſchlagenen Volkes Aufnahme in Nätien und die alemanniſche Sage hat das Gedächtnis des großen Dietrich) dankbar feftgehalten. 532 wurden auch die Burgunder der fränfifchen Oberhoheit unterworfen und wenige Jahre fpäter ſelbſt Rätien den Franken abgetreten. Durch Aufopferung ihrer Unabhängigkeit ge- lang es dem Refte des Alemannenvolfes immerhin, die ſchwer bedrohte Nationalität zu retten.

Mit der Wende des Jahrhunderts gewann das Chriftentum und die hriftliche Kultur den Sieg. Es erheben fich die neuen Bifchofsfige Baſel und Konftanz. Freilich fand die iriſche Miffion (Kolumban, Gallus) in alemannifchen Yanden noch genug zu tun vor. Im der Wildnis zwiihen Bodenfee und Thur, an der Steinach, baute fi der hf. Gallus feine Zelle. Nach etwa hundert Jahren (720) legte Otmar an diefer Stätte das Kloſter St. Gallen an.

Mit Karl dem Großen wurde auch nod) der letzte außerhalb des fränkiſchen Reiches ftehende Reſt des heutigen ſchweizeriſchen Terri- toriums, der Teffin, welcher ſeit dem feßten Drittel des ſechsten Jahr- hunderts den Pongobarden gehörte, den Franken untertan. Aber der Teilungsvertrag von Verdun riß die Schweiz wieder aus einander: der Weiten bis zur Aare fiel an das lothringifche Mittelreich, nachher an Weftfranfenland, die deutſche Schweiz mit Churrätien dagegen wurde dem oftfränfifchen Reiche einverleibt. Beide Teile ftrebten nad) ftaat- licher Selbftändigfeit, die ihnen auch vorübergehend wieder beſchieden war. Burgund erhob fid) im Jahr 888 zum Königreich (Meu- oder Hochburgund), das nad) und nad) von Baſel bis an die Rhonemündung, von der Saone biß über die Aare hinausreichte, aljo auch alemanniſches Gebiet umfaßte. Im Alemannien glückte e8 erft nad) ſchweren Kämpfen gegen das oftfränfijche Königtum und die Kircheneinheit (Abtbiſchof Salomon II. von St. Gallen) dem jungen Grafen Burkhart von Nätien, fih 917 ein Herzogtum zu gründen, aber furz darnach verlor diefes jeine Unabhängigkeit an das Reich) und nad) dem Sturze Herzog Ernſts II. übertrug deffen Stiefvater Kaifer Konrad II. 1038 das Herzogtum Alemannien oder Schwaben vollends feinem Sohne Heinrich),

10 Einleitung

wodurch dasſelbe als Keruland im deutſchen Reich aufgieng. Das Königreich Burgund teilte zur nämlichen Zeit das gleiche Schichſal.

Allein ſchon unter Heinrich IV. geriet die Reichsgewalt über die jegige Schweiz ins Wanfen. Der Kaifer verlieh Schwaben den Stau— fern, die mächtig aufftrebenden Zähringer erhielten die Statthalterwürde über Burgund jowie die Reichsvogtei Zürich und juchten durd) Städte- gründungen (Freiburg, Bern, Burgdorf u. f. f.) ihre Stellung zu be— haupten. Das Erlöfchen dieſes Haufes bewahrte die Schweiz vor einer zähringiichen Herrichaft. Die Reichslehen der Zähringer fielen an die ftaufifchen Kaijer zurüd, Schmaben und Burgund wurden reichs— unmittelbar. Und als jpäter die habsburgiſche Gewalt unjer Land zu gefährden drohte, fam ihr die Stiftung der freien Eidgenoſſen— ſchaft rettend zuvor.

Mit ihrem Auftreten in der Schweiz haben die Alemannen die vorhandene keltiſch⸗ römiſche Bevölkerung, Sprache und Kultur völlig unterdrüdt. Nach allgemein germanicher Weije jiedelten fie fih in Höfen und Dörfern an. Von diefen nehmen die zahlloſen ſchwei— zeriſchen Ortsnamen auf =hofen, -ifon (-inghofen), weil, =ftetten, haufen (abgejchwächt =jen) u. ſ. f. ihren Ausgang. Neben dem Sonder- eigentum bejaß eime Vereinigung von Höfen, ein Dorf, auch unver teilten Grundbefig, die Gemeindemart, Allmende. Der Krieg war der vebensberuf der Alemannen. Bei feinen hartnädigen Raub- und Beute- zügen ließ. das Bolt höhere Ziele, auch das einer feſten, dauernden Staatenbildung, außer Auge. Der Aderbau wurde nach dem Syſtem der Dreifelderwirtichaft, der alten drei Zeigen betrieben. Die Be— völferung ſchied ſich in Freie (Adelige, Mittelfreie, geringere Freie), Hörige und Leibeigene. Der Staat kannte damals noch feine andern Aufgaben als Verteidigung gegen außen und Aufrechthaltung der Ord- mung im Innern. Das Heer ift nach altdeutſcher Art in Hundert- ſchaften abgeteilt, nad) folhen wohnen die Leute beifammen. Mehrere Hundertſchaften bilden den Gau (Thurgau, von dem ſich im neunten Jahrhundert der Zürichgau ablöst, Klettgau, Aargau, Fridgau, Sis— gau, Ufgau u. ſ. f.). Die Genofjen des Gaues treten zur Volks— verfammlung zujammen. An der Spike des Volkes ſteht der Herzog. Das ſechste Jahrhundert brachte mit der Frankenherrſchaft die Graf- ſchaftsverfaſſung. Ueber die einzelnen Gauc waren Grafen als könig- liche Statthalter gefett; fie hielten das Gericht und führten den Heerbann an. Das Auffommen des Lehensweſens jeit dem neunten Jahrhundert änderte die frühern Zuftände von Grund aus. Die Gaue zerfplitterten ſich in Heinere Herrſchaften, es erftanden die neuen Grafen⸗ und Freiherrenhäufer (Tenzburg, Habsburg, Kiburg, Regens—

Einfeitung u

berg, Rapperſchwil, Toggenburg u. ſ. f.), danchen erhoben ſich Reichs⸗ ftädte, geiftliche und weltliche Vogteien. Endlich im dreizehnten Iahr- hundert wurden die drei Waldftätte reichöfrei, jchloffen 1291 ihren ewigen Bund und legten damit den Grund zur ſchweizeriſchen Eid— genoſſenſchaft.

Den Alemannen alſo verdanken wir die Germaniſierung unſres Landesteils. Ihre Einwanderung ſeit Anfang des fünften Jahr— hunderts vollzog ſich aber nicht mit einem male, ſondern geſchah in langſamer Flutung ſüdweſtwärts. Dieſelben Gruppen alemanniſcher Ortsnamen finden ſich neben einander in der Oſtſchweiz, im Reußtale, auf Berner Gebiet. Später erhielt die alemanniſche Sprache Zuwachs namentlich in Graubünden auf Koſten des Romaniſchen. Hier iſt ja überhaupt das Churwälſche, welches früher den größten Teil Grau— bündens ſowie die ſüdlichen Gegenden von St. Gallen, Glarus be— herrſchte, ſtart im Rückgange begriffen zu Gunſten des Deutſchen und Ralieniſchen. Das deutſche Wallis beteiligte ſich im Mittelalter an der Koloniſierung im Alpenlande. Von dort aus wurden im drei— zehnten und vierzehnten Jahrhundert beträchtliche Teile Graubündens, wo die Walſer ihren Namen bewahrt haben, bevölkert. Ebenſo ſind die Deutſchen am Monte Roſa, ſowie diejenigen am Toſafall Walliſer. Ein deutſches Sprachinſelchen (Bosco) befindet ſich endlich noch im teſſiniſchen Tale der Maggia.

Die Beſtimmung der einſtigen Sprachgrenze gegen Weſten ſtößt auf bedeutende Schwierigkeiten. Auch weſtlich von der obern und mittlern Aare, in welcher man ungefähr die Scheidelinie erblickt, wurde noch alemannifch geredet. Entweder verloren die Burgunder jene Landftriche an die Alemannen (von Solothurn und dem Uechtland iſt dies ficher), oder diefelben waren nie ganz burgundiſch. Die Sprachgrenze verſchob ſich von alters Her unaufhörlih. Die politiiche Grenze zwiſchen Ale— mannien und Burgund war nic die ethnographiihe. Germanifches und romaniſches Clement lagen und liegen noch in beftändigem Stampfe. Heute fteht zwar die Sprachgrenze im allgemeinen feit. Sie geht im Weſten bei ihrem Eintritt in die Schweiz von der Birs der weftlichen Solothurner Kantonsgrenze entlang, weſtlich vorbei am Bieler Ser, längs der Zihl gegen Murten, durch die Stadt Freiburg hindurch, über- ichreitet in der Gegend des Rawilpaffes die Alpen, ſchneidet bei Siders die Rhone, zieht fi am Matterhorn vorbei um den Monte Rofa, läuft von Sifime, die obere Toſa berührend, nordöftlich über den St. Gott⸗ hard, pafjiert füdlich von Chur den Rhein, oberhalb Martinsbrud den Inn und tritt auf öfterreichifches Gebiet über.

Durch die heutige deutjche Schweiz geht eine Scheidelinie zwiſchen

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ben zwei Hauptbiafeften, dem rein alemanniſchen und einem Idiom, welches man das burgundiſch⸗alemanniſche nennt, das möglicherweife auf alte burgumdifche Einwirkungen zurüdgeht. Die Grenze zwiſchen den beiden Dialeften bildet ziemlich jharf die Neuß.

Charafteriftiih für das Alemannifche, überhaupt für die ober- deutjchen Mundarten, d. h. außer jenem für das Bairiſche und einen Teil des Fränkiſchen, ift eine Wandlung in den Konfonanten, dic man unter der Bezeichnung: hochdeutſche Lautverſchiebung fennt, eine Bewegung, die vermutlid) in das fünfte biß fiebente Jahrhundert n. Chr. fällt und in der Zeit, aus der die erften ſprachlichen Denkmäler über- liefert find, bereits vollzogen war. Dieje zweite Lautverfchiebung ſcheidet das Gotiſche, Niederdeutiche (Englifche) vom Ober- oder Hoch⸗ deutſchen, ergreift namentlich die harten Paute und wandelt t zu 3, k zuch, p zu f (niederdeutſch teihn wird hochdeutſch zehn, nd. if hd. ich, nd. Dorp hd. Dorf); ſodann erftredt fie ſich teifweife auch über die weichen Konfonanten, ftatt d, b und g treten t, p und f ein (do weicht das letztere ſpäter wieder dem frühern g), die Spiranten h und f dagegen bleiben unverſchoben. Dieje Bewegung geht vom Süden aus; je weiter fie nad) Norden vorrüct, deſto ſchwächer wird fie und läßt fogar einen Teil des Fränkiſchen und die niederdeutihen Spraden unberührt.

Die deutjch-fchweizerifchen Literaturdenkmäler repräjentieren durch⸗ wegs die hochalemanniſche Sprade.

Für die Zeit, da noch feine eigentlichen Sprachquellen fließen, find die Namen, wie fie ji in den alten Jahrzeit- und Verbrüderungs- büchern, Nekrologieen, beſonders aber in datierten Urfunden darbieten, von großer Wichtigkeit. Auch auf diefem Gebiet weijen die St. Galler Urkunden einen beifpiellojen Reichtum auf. Wir fehen da die Sprad- gejege vor unjern Augen fich vollzichen, Können z. B. den Vorgang verfolgen, wie der Umfaut von a zu e, der im Alemannifchen vor 757 nicht erjheint, nach 785 Regel wird und fünfzehn Jahre fpäter ganz durchgedrungen ift; oa (6) überwiegt im Alemanniſchen neben ua bie 780, nachher wird ua herrfchend. Oder: in Eigennamen finden wir die Endung -bald bis etwa 790, dann tritt an ihre Stelle -bold; die Namen auf -wini tauchen um dasjelbe Jahr in der geſchwächten Form -ini auf, die auf -ulf von ungefähr 760 an in der Form auf -olf u.f.w.

Die Poefie ift überall äfter als die Proja, Proja als eigentliche Kunſtform aufgefaßt.

Wir haben uns die ältefte deutſche Poefie weder als ausſchließlich epifche, lyriſche, noch dramatiſche Dichtung vorzuftellen. Wohl aber

Einleitung 18

hatte ſie von allen dieſen Elementen etwas an ſich. Sie war weſentlich Hymnen⸗ oder choriſche Poeſie, eine Miſchung von Erzählung und An— rufung der Gottheit, Reigen und Geſang. Aber alle Erzeugniſſe dieſer Art ſind uns verloren gegangen, ebenſo die epiſchen Dichtungen der Heldenſage, die in der Zeit der Völkerwanderung auflamen. Wir fennen nur die Form der älteſten Poeſie, da fie teilweiſe in den Dentmälern einer fpätern Zeit wicderfehrt und bis auf unfere Tage lebendig geblieben ift. Es ift fein Versmaß, das auf Länge und Kürze der Silben beruht, auch nicht der Endreim, fondern die Alliteration, der Stabreim, der in dem nämlichen Anlaut der Worte bejteht und mit uralten fafralen Gebräuchen zufammenhängt. Aus diefem Grunde mieden die oberdeutichen Dichter der fpätern chriſtlichen Zeit diefe Form abfichtlich, während fich diefelbe im heidnijchen Norden und in England noch auf lange hinaus fort erhielt. Die ſüddeutſche Dichtung ſetzte ſchon im achten Jahrhundert und vielleicht noch früher den End- reim an die Stelle der heidnijchen Alfiteration. Aber nicht alle Poeſie war choriſch. Es gab außer derfelben auch Sprichwörter, Rätjel, Segensfprüche, Rechtsformeln u. |. w.

Umfonft juchen wir deutlichere Spuren der Dichtung aus der Urzeit.

Ueber die religidjen Vorftellungen der heidnifhen Alemannen wiffen wir wenig und wollen uns wohl hüten, die nordiſche Götter- lehre, fo wie dieje in ihrer fpätern Ausbildung vorliegt, auf das ober- deutſche Volt zu übertragen. Ebenſo großer VBorficht bedarf es, heidniſche Ueberrefte aus dem alemannifchen Sagen-, Märchen- und Legendenſchatz, aus Glaube und Brauch auszufheiden. Der alte ariſche, jodann ſem⸗ noniſche Zio ſpukt noch in dem alemanniſchen „Ziftig*; Wuotans Heer fährt auch hier durch die Lüfte, oder ftürmt als Frieſenvolk, „ein ganzes Reich“, durch die verfperrte Sennhütte; der Sitte, am Freitag Hochzeit zu Halten, mag immerhin eine dunkle Erinnerung an die holde Göttin jenes Tages zu Grund liegen. Noch waltet an ihrer Stelle Frau Sälde in unferer Sage und aud Frau Berchta ift undergeffen. Unfere Kinder fingen noch von den drei Jungfrauen (Nornen), deren eine Seide fpinnt; in Volksliedern mögen mythologiſche Beziehungen ftedten, alte Gaugöttinnen nunmehr als Kirchenheifige verehrt werden, Zauberfprüche, wie der vom verrenkten Bein des Hirfches, an die heidniſche Merjeburger Formel anklingen. Der altgermanifhe Mairitt geht heute noch mit jedem Lenz über die Fluren von Beromünfter; der Quelfen- und Baumkultus ift in der Erinnerung nidt völlig verloren. In unfern Bergen ſchlafen entrückte Helden und das freundliche Völtchen der Zwerge tummelt fi in Haus und Flur. Im den blauen Spalten

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des Aletſchgletſchers, dem grandiojen Reinigungsorte der Geftorbenen, frieren die armen Seelen und halten in Quatembernächten ihre Toten- züge (Volfgänge, Gratzüge) über das einſame Eismeer.

Indeffen verraten eisgrau jcheinende Sagen wie die legte bereits chriſtliche Einwirkung.

Kaiſer Julian, der Alemannenbeſieger, ſpricht geringihägig vom Geſang dieſes Volkes. Er vergleicht ihn mit dem Krächzen wilder Vögel.

Bon der älteften alfiterierenden Dichtung der Alemannen ift jo gut als nichts gerettet worden und unjere einheimijche Literatur öffnet fih uns erjt in der chriſtlichen Zeit mit kirchlich gelehrten Erzeugniffen. Mit Ausnahme des St. Galler Pater nofter und Eredo liegt aus ale- manniſchen Landen überhaupt faum ein zufammenhängendes ſprachliches Denkmal vor, das in das achte oder frühefte neunte Jahrhundert zurüd- reichte.

Und doc) Klingen noch einige regelrecht alliterierende Verſe aus der Vorzeit zu ung herüber in einem alemannijchen Milchſegen. Derjelbe gehört zu ber weitverbreiteten Gattung der Zauberformeln und Be— ſchwörungen. Abgejehen von ihrem Alter jind die Verſe auch fultur- geſchichtlich bezeichnend für unfere Alpenwirtſchaft. Ihre Aufzeichnung ftammt aus St. Gallen; dorthin deutet u. a. aud die Orthographie. Ein Mönd mag den Sprud) an der Sennhütte der Umgegend erblidt oder von Hirten gehört und der Aufzeichnung wert gehalten haben.

„Ad signandum domum contra diabolum. Wola wiht, taz tu weist, taz du wiht heizzist, taz tune weist noch ne chanst cheden: chuospunni!“

D. h. „Gut, Wicht, daß du weißt, daß du Wicht heißeſt, daß du nicht weißt noch ſprechen fannft: Kuhmilh!“ Der Dämon, der Wicht, jobald er bei jeinem Namen genannt wird, verliert die Macht über die Gottesgabe der Milch, deren Namen er nicht einmal zu jagen vermag. Eine andere Beihwörungsformel diefer Art gegen das Lahm—

werden der Roſſe (contra rehin) überfiefert ein Züricher Arznei- bud) des zwölften Jahrhunderts. Auch diefe führt troß der jpäten Aufzeichnung tief in die Vorzeit zurüd. Die erjten Zeilen jind mır ſcheinbar ftabreimend, dagegen ift der Spruch ftreng nad) vier Hcb- ungen, bezichungsweije drei bei flingendem Ausgang,